Das Energiesystem der Zukunft: Peer-to-Peer Energiehandel

Blick über die Freiburger Solarsiedlung Sonnenschiff

Wie lässt sich erneuerbare Energie aus lokalen Erzeugungsanlagen besser und effizienter nutzen, um die Energiewende voranzubringen? Wie kann der steigende Energiebedarf gedeckt werden, ohne zu viele Ressourcen in den Netzausbau zu stecken?

 

Eine Antwort darauf sind dezentrale Versorgungslösungen wie der Peer-to-Peer Energiehandel (P2P): Strom aus den Photovoltaikanlagen der Nachbarschaft wird an einem lokalen Energiemarkt gehandelt – direkt und unmittelbar zwischen Erzeuger und Verbraucher. Was so einfach klingt, erweist sich im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen als komplexes Thema.

 

 

Sauberer Strom aus der Nachbarschaft

Mittags liefert die PV-Anlage so viel Solarstrom, dass er im eigenen Haushalt gar nicht vollständig genutzt werden kann. Ein paar Häuser weiter wiederum wartet die Wallbox darauf, endlich mit ausreichend Energie versorgt zu werden, um das Elektroauto aufzuladen. Was liegt also näher, als den überschüssigen Strom an die Nachbarn weiterzugeben, die gerade einen höheren Bedarf haben?

  

Photovoltaic system in a village

 

So funktioniert der Peer-to-Peer Energiehandel

Genau das ist die Idee hinter dem Peer-to-Peer Stromhandel. Bei diesem Konzept geht es darum, einen regionalen Marktplatz für erneuerbare Energie zu schaffen. Die beteiligten Marktakteure haben darin direkten Zugang zueinander und können ohne Zwischenstationen wie Börsen oder Energieversorger den sauber produzierten Strom kaufen und verkaufen.

 

Jeder kann in diesem System gleichermaßen Verbraucher und Produzent sein – die klassische Rollenverteilung von Endkunden und Anbietern ist somit aufgehoben. Damit der P2P-Energiehandel funktioniert, braucht es jedoch nicht nur die notwendige Infrastruktur. Es braucht vor allem einen Rechtsrahmen, der die komplexen Zusammenhänge erfasst, ohne das P2P-Konzept zu verkomplizieren. Hierzu müssen verschiedene rechtliche Ebenen berücksichtigt werden – und das ist die große Herausforderung für Peer-to-Peer als Energiesystem der Zukunft.

 

 

Peer-to-Peer: Die rechtlich-regulatorischen Grundlagen

Dass der Peer-to-Peer-Handel mit erneuerbarer Energie technisch funktionieren kann, haben Projekte wie „pebbles“ (Peer-to-Peer-Energiehandel auf Basis von Blockchains) schon bewiesen. Eine große Hürde für die regionalen Strommärkte bleiben jedoch die rechtlichen Anforderungen, die eingehalten werden müssen.

 

Ein geeigneter Rechtsrahmen muss eine Reihe verschiedener Aspekte abdecken. An erster Stelle steht dabei das Energie- und Regulierungsrecht. In Deutschland bedeutet das zum Beispiel unter anderem, dass die Rechtsvorschriften aus dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), der Stromnetzentgeltverordnung (StromNZV) sowie dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingehalten werden müssen.

 

Close up of smart home energy consumption overview

 

 

Rechtliche Herausforderungen für Prosumer

Die Regularien sind immer technologieneutral gestaltet und erlauben damit prinzipiell den Einsatz von Blockchains für reine Peer-to-Peer-Lösungen. Verbunden ist diese Möglichkeit allerdings mit einem großen Aber. Prosumer in einem P2P-Strommarkt gelten nach EnWG als Energieversorger – und müssen deshalb zahlreiche rechtliche Pflichten übernehmen:

 

  • Es bestehen Anzeige- und Erlaubnispflichten gegenüber der Bundesnetzagentur.
  • Die Abwicklung der Strompreisbestandteile muss geregelt werden, etwa wegen der anfallenden Stromsteuer.
  • Darüber hinaus müssen die Stromrechnungen an die gesetzlichen Vorgaben angepasst werden, einschließlich einer Stromkennzeichnung.

 

Daraus folgt ein beträchtlicher Verwaltungsaufwand, der für private Anbieter kaum zu bewältigen ist – zumal eine eigenständige Abwicklung einer direkten Stromlieferung mit erheblichen Haftungsrisiken verbunden ist. Und das ist längst nicht alles, worauf die Prosumer im Peer-to-Peer-Kontext zu achten haben.

 

 

Flexibler Energiehandel, komplexe Vorgaben

Der Rechtsrahmen für den Peer-to-Peer Enerigehandel ist aber nicht nur wegen energierechtlicher Aspekte so komplex. Bei dem direkten Handel von erneuerbarem Strom innerhalb der Nachbarschaft oder des Quartiers sind einige weitere Rechtsbereiche relevant:


Vertragsrecht

Einer der Vorteile des Peer-to-Peer Energiehandels ist seine Flexibilität. Anders als bei konventionellen Versorgungssituationen mit einem Endverbraucher und einem festen Energieversorger erlaubt das P2P-Konzept, den Strom je nach Bedarf und Angebot jederzeit von einem anderen Anbieter zu beziehen.

 

Doch Meldepflichten und Vertragsrecht erschweren einen solchen schnellen und häufigen Wechsel der Lieferanten, da die Rechtssicherheit im bisherigen Rechtsrahmen kaum zu gewährleisten ist.

 

Auch die Blockchain-Technologie ist in dieser Hinsicht nicht unproblematisch: Die Unveränderbarkeit von Daten und Transaktionen steht im Widerspruch zu vertragsrechtlichen Grundsätzen wie der Nichtigkeit oder Rückabwicklung von Verträgen.

Datenschutz

Beim Thema Datenschutz sind die Anforderungen schon durch die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sehr hoch. Sie gilt in erster Linie für den Schutz von personenbezogenen Daten.  

 

Für den Stromhandel über digitale Energieplattformen sind aber nicht allein die Vorgaben der DSGVO zu beachten. In Deutschland etwa sind außerdem die Regelungen des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG) für die Verarbeitung von Daten mit intelligenten Messsystemen (Smart Meter) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) relevant.

 

Zu klären ist unter anderem, wann personenbezogene Daten involviert sind und welche Folgen sich daraus aufgrund der unterschiedlichen Regeln und Verordnungen ergeben.

Datensicherheit

Neben dem Datenschutz spielen die Vorgaben bezüglich der Datensicherheit eine große Rolle, wenn regionale Energieplattformen eingerichtet werden sollen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage, ob P2P-Energiehandelsplattformen bereits als Kritische Infrastruktur einzuordnen sind.

 

Sollte das der Fall sein, sind zusätzliche Sicherheitsanforderungen einzuhalten. Die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Daten und der gesamten Strominfrastruktur müssen gewährleistet sein.

 

Grundsätzlich helfen P2P-Plattformen mit ihrer dezentralen Stromerzeugung und -versorgung zwar dabei, die Risiken im gesamten Netz zu verringern. Dennoch muss natürlich auch vor Ort dafür gesorgt sein, dass die Infrastruktur keine Angriffsflächen bietet.


P2P-Potenziale besser nutzen 

Aerial view of apartment block with photovoltaic system

In den vergangenen Jahren hat es in Deutschland einige Pilotprojekte gegeben, um die Möglichkeiten des Peer-to-Peer-Energiehandels zu untersuchen. Neben dem bereits erwähnten „pebbles“ im Allgäu zählen dazu unter anderem Tal.Markt in Wuppertal, Nordgröön in Schleswig-Holstein oder das vom BMWi geförderte Etiblogg.

 

Über den gesamten Globus lassen sich Projekte finden, die ebenfalls mit dem P2P-Konzept arbeiten. Bereits 2016 startete in New York „Brooklyn Microgrid“, das bis heute als Vorreiter für den Peer-to-Peer Energiehandel gilt. In der Schweiz wird im Rahmen von „Quartierstrom 2.0“ ein Vorgängerprojekt fortgeführt, in dem 37 Haushalte einen eigenen Strommarkt bildeten. Im australischen Perth wurden im Rahmen einer Kooperation 62 Wohnungen mit Speichern und PV-Anlagen für ein Microgrid ausgestattet, über das sich die Bewohner vollständig selbst mit erneuerbarer Energie versorgen können.

 

 

Entwicklung praktikabler Lösungen für die Zukunft

 

Damit aus diesen Modellen alltagstaugliche Lösungen für eine effiziente dezentrale Energieversorgung werden, sind nach wie vor Anpassungen des Rechtsrahmens notwendig. Weniger rechtliche Hürden und stärkere kommerzielle Anreize für den Handel mit selbsterzeugtem Strom aus erneuerbaren Energien sind die wichtigsten Ansatzpunkte, um P2P attraktiver zu machen.

 

Im EU-Recht sind wesentliche Aspekte für eine unkompliziertere Selbst- und Direktversorgung mit erneuerbaren Energien bereits angelegt, etwa in der Strombinnenmarktrichtlinie (EU-Richtlinie 2019/944) und der Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II:

 

  • Als aktive Kunden erhalten Verbraucher zum Beispiel das Recht, selbst erzeugte Energie zu verbrauchen, zu speichern – oder zu vermarkten.
  • Dabei dürfen sie nicht durch unverhältnismäßige technische oder administrative Anforderungen, Verfahren, Umlagen und Abgaben eingeschränkt werden.
  • Die EU-Richtlinie enthält sogar die Aufforderung, einen Rechtsrahmen für Bürgerenergiegemeinschaften zu schaffen.

 

Jetzt muss es darum gehen, die Vorgaben von Strombinnenmarktrichtlinie und Erneuerbare-Energien-Richtlinie auf nationaler Ebene in bessere Rahmenbedingungen umzusetzen: mit flexibleren Netzentgelten, Anreizregulierungen und der Gestaltung eines Energiemarktes, der P2P-Plattformen optimal integriert. Nur so kann der Peer-to-Peer Stromhandel bei der Energiewende einen wirklichen Unterschied machen.