Strom vom und für den Nachbarn:
P2P-Energiehandel im Praxistest

Junge Familie betrachtet Solarpanel

Energie-Communities sollen die Stromversorgung revolutionieren: mit lokalen, dezentralen Lösungen, die private Haushalte stärker in die Energiewende einbeziehen. Die Idee ist denkbar einfach. Wer eigenen Strom produziert, kann Überschüsse einfach an seinen Nachbar verkaufen. Oder bei Bedarf mehr Strom von den Nachbarn einkaufen. Jeder ist Erzeuger und Verbraucher zugleich – eine Community von „Prosumern“ in einem kleinen Peer-to-Peer Netzwerk.


Abgesehen von regulatorischen Belangen und der technischen Machbarkeit stellt sich vor allem die Frage: Wie kommt diese Form des Energiehandels bei den „Prosumern“ an?


Internationale Projekte sammeln Praxiserfahrung 

So einfach das Konzept zunächst klingt, so komplex sind der technische Hintergrund und die rechtlichen Anforderungen. Mit dem Handel über Peer-to-Peer Netzwerke können sich Nachbarschaften, Quartiere oder ganze Ortschaften zusammenschließen und mit ihrem selbstproduzierten Strom handeln.


Auf der ganzen Welt gibt es Projekte, die die Möglichkeiten dieses Ansatzes im Feldversuch untersuchen. Die praktischen Erfahrungen sind wichtig, um das Modell auf seine Alltagstauglichkeit zu prüfen.

Ortsteil mit Solardächern

Die richtige Technik und ein geeigneter Rechtsrahmen sind nur zwei Aspekte des P2P-Stromhandels. Ein elementarer dritter ist die Akzeptanz durch die Nutzer. Nur wenn das Konzept für sie plausibel, transparent und wirtschaftlich attraktiv ist, kann der Energiehandel in der Nachbarschaft eine entscheidende Rolle in der Stromversorgung der Zukunft spielen.


Flexible Stromversorgung – aber wie?

Ein wichtiger Faktor für den dezentralen P2P-Handel in Energie-Communites ist das passende Geschäftsmodell. Denn der wesentliche Vorteil des Konzepts liegt schließlich darin, deutlich flexibler beim Kauf und Verkauf von Strom agieren zu können. Alle Teilnehmer sollen finanziell profitieren – ohne Nachteile für die Versorgungssicherheit, die Netzstabilität und die Netzinfrastruktur.


Prinzipiell haben sich derzeit zwei Modelle herausgebildet, die in den internationalen Projekten als Basis genutzt werden:


Marktplattformen versuchen, dezentrale Erzeuger als Anbieter auf der Verteilnetzebene einzubinden. GOPACS in den Niederlanden und Piclo Flex in England sind zwei Beispiele, die bereits seit 2019 in Betrieb sind.
Aggregatoren-Plattformen zielen stärker auf einen lokalen Strommarkt ab. Repsol Solmatch in Spanien oder Quartierstrom 1.0 in der Schweiz funktionieren nach diesem Konzept.


Quartierstrom: Eine Schweizer Erfolgsgeschichte 

In Walenstadt in der Schweiz blicken die Bewohner bereits auf die zweite Runde ihres lokalen Energiemarkts. Das erste Projekt mit dem Titel „Quartierstrom 1.0“ konnte im Januar 2020 erfolgreich abgeschlossen werden. 


Zwei Jahre lang hatten 37 Haushalte und ein Seniorenheim an dem Feldversuch teilgenommen. Sie konnten in dieser Zeit den Solarstrom aus ihren Photovoltaik-Anlagen mit den anderen Teilnehmern im Quartier handeln. 

Blick über Walenstadt in der Schweiz

Die Ergebnisse sind positiv. Nicht nur, weil die technische Umsetzbarkeit des Peer-to-Peer-Energiehandels mit Blockchain-Technologie bewiesen wurde. Sondern vor allem wegen der engagierten Teilnehmer, die den lokalen Strommarkt aktiv nutzten. Mit „Quartierstrom 2.0“ soll nun eine Handelsplattform mit neuen Funktionen entstehen.


Der Weg zum lokalen Strommarkt

Technische Ausstattung, ein einfaches Handelssystem und engagierte Teilnehmer – das sind die drei wesentlichen Geheimnisse des Erfolgs, der mit „Quartierstrom 1.0“ gelungen ist. Das Projekt zeigt, wie die lokale Energiewende auch in anderen Energie-Communities funktionieren kann.

 

  • Technische Grundlagen

    Die Voraussetzungen für das „Quartierstrom 1.0“-Projekt war die Ausstattung der teilnehmenden Haushalte mit PV-Anlagen und einem Smart Meter. So konnten Stromproduktion und -verbrauch durchgehend gemessen werden.


    Um die Transaktionen innerhalb des lokalen Strommarkts zu erfassen, wurde erfolgreich Blockchain-Technologie eingesetzt. Ein automatisches Blockchain-Protokoll diente als Grundlage für den Handel.

  • Einfacher Handel

    Hinter dem Energiehandel im Walenstadter Projekt stand ein einfaches Prinzip: Wer seinen überschüssigen Solarstrom verkaufen wollte, legte dafür einen Minimal-Preis fest. Umgekehrt konnten Haushalte, die Strom einkaufen wollten, einen Maximal-Preis bestimmen.


    Tatsächlich war diese Möglichkeit für den Erfolg des Projekts jedoch nicht entscheidend.  

  • Großes Engagement

    Besonders erfreulich war das Verhalten der Nutzer im Projektverlauf. Der lokale Strommarkt wurde sehr gut angenommen und aktiv genutzt. Der Handel wurde als fair empfunden, nicht zuletzt wegen der Preisgestaltung: Für den lokalen Solarstrom riefen die Anbieter Preise auf, die in etwa auf dem Niveau des übliche angebotenen Netzstroms lagen.


    Als weiteren Vorteil nannten die Teilnehmer die Möglichkeit, über das eingerichtete digitale Portal immer einen Echtzeit-Überblick über Marktgeschehen, Stromproduktion und -verbrauch zu haben. Dieser Aspekt ist auch im Hinblick auf Akzeptanz und Verständnis des lokalen Energiemarktes wichtig.


Peer-to-Peer für smarte Dorfnetze

In Bangladesch wird der P2P-Ansatz für etwas Größeres genutzt. Mit dem „SOLshare“-Projekt ist in Shariatpur nicht einfach nur ein Peer-to-Peer-Netzwerk für den Energiehandel entstanden.


Das Projekt ermöglicht es vielen Haushalten, zum ersten Mal überhaupt über elektrischen Strom verfügen zu können. In ländlichen Regionen von Bangladesch betrifft das zum Teil 72 Prozent der Haushalte. Das Mini-Netzwerk umfasst heimische PV-Anlagen und kann auch Haushalte versorgen, die selbst keinen Strom erzeugen können.

Indische Familie sitzt beisammen

Sogenannte SOLshare-Meter funktionieren als bi-direktionale Messeinheit, über die zugleich die Bezahlung, der Kundenservice und das Monitoring laufen. Wer Strom benötigt, lädt einfach per Mobiltelefon sein Guthaben auf und kann anschließend den überschüssigen Solarstrom von den Erzeugern im Mini-Netzwerk nutzen.


Peer-to-Peer Energiehandel: Die Menschen mitnehmen

Für das Gelingen der Energiewende sind viele Faktoren verantwortlich, aber der wichtigste sollte dabei nicht vergessen werden: die Menschen. Mit dem P2P-Stromhandel kann dieses große Vorhaben den Menschen nähergebracht werden – indem sie selbst zu einem Teil des Wandels werden und diesen aktiv mitgestalten. Weniger abstrakt, dafür direkt erlebbar im eigenen Haushalt.


Durch den Peer-to-Peer-Ansatz erfahren die Menschen den Wert einer sauberen, dezentralen Energieproduktion. Sie werden unabhängiger, erzielen finanzielle Vorteile und können transparent verfolgen, welche Auswirkungen ihr Verbrauchsverhalten hat. Die Energiewende wird damit greifbar.


Projekte wie SOLshare in Bangladesch oder GOPACS in den Niederlanden zeigen, dass das P2P-Konzept im Großen wie im Kleinen ein enormes Potenzial hat. Und sie machen deutlich, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn sie wirklich bei allen Menschen ankommt. Mit einem dezentralen, lokalen Stromhandel werden die Menschen in den Mittelpunkt gestellt. So haben sie es selbst in der Hand, das Beste aus selbstproduzierten, erneuerbaren Energien herauszuholen – für sich, für ihre Nachbarn, für Umwelt und Klima.


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