Was ist Resilienz? Wie kann sie entwickelt werden?
Denis Mourlane ist ein anerkannter Experte in Deutschland zum Thema Resilienz. Er trainiert und berät Organisationen und Einzelpersonen darin, ihre Fähigkeit zur Resilienz zu entwickeln. Auch in der Hager Group hat er in der Vergangenheit dazu schon Workshops gehalten. Vor dem Hintergrund der unerwarteten und außergewöhnlichen Situation, die durch das Coronavirus hervorgerufen wurde, haben wir Denis nach Tipps gefragt. Was ist Resilienz? Wie kann sie entwickelt werden? Welche guten praktischen Vorgehensweisen können wir lernen? Er antwortete uns einfach in einem Interview und fasste seine drei wichtigsten Ratschläge in einem 3-minütigen Video zusammen. Entdecken Sie sie im Anschluss.
Was ist eigentlich Resilienz?
Unter Resilienz verstehen wir in erster Linie die Fähigkeit von Menschen, Rückschläge im Leben zu bewältigen. Darüber hinaus, und das ist gerade derzeit interessant, ist es aber auch die Fähigkeit mit Situationen der Ungewissheit umzugehen. Menschen mit einer ausgeprägten Resilienz gelingt es in solchen Situationen realistisch optimistisch, gelassen und zielorientiert zu bleiben. Ein schönes Beispiel dafür ist Nelson Mandela wie ich finde. In den 27 Jahren Gefangenschaft auf Robben Island war er natürlich auch mal verzweifelt. Aber er hat mental immer wieder in eine optimistische Haltung zurückgefunden und seine Ziele nicht aus den Augen verloren. Das muss man in so einer Situation erst einmal schaffen.
Kann man Resilienz entwickeln bzw. stärken und wie?
Resilienz ist eine Art psychologisches Immunsystem, das Sie, genauso wie Ihr körperliches Immunsystem stärken können. Achtet man im körperlichen Bereich auf seine physiologischen Grundbedürfnisse nach beispielsweise Flüssigkeit, ausgewogener Ernährung und Bewegung, tut man seinem körperlichen Immunsystem eine Menge Gutes. Man stärkt es. Analog können Sie Ihr psychologisches Immunsystem, Ihre Resilienz, dadurch stärken, dass Sie auf Ihre psychologischen Grundbedürfnisse achten. Das sind, neurowissenschaftlich gut nachgewiesen, die Bedürfnisse nach Bindung, nach Orientierung und Kontrolle, nach Selbstwerterhöhung, nach Lustgewinn, also nach positiven Emotionen und nach Sinn. Ein Mensch, der starke Bindungen zu anderen Menschen hat, der weiß, was er will und sich dorthin bewegt, der seinen Selbstwert pflegt, der viel Freude erlebt und für den das eigene Leben einen Sinn ergibt, ist nicht so leicht aus der Bahn zu werfen. Auch deswegen hat Mandela überlebt.
Wozu braucht man Resilienz? Wer braucht Resilienz?
Nimmt man die Definition von Resilienz, die ich Ihnen eingangs gegeben habe, wird relativ schnell klar, dass jeder Mensch Resilienz benötigt. Wieso? Ganz einfach: weil, so sehr ich es Ihnen wünschen würde, es natürlich kein Leben ohne große Rückschläge oder Situationen der Ungewissheit gibt. Zum Glück scheint der aktuelle Homo Sapiens bzgl. seines psychologischen Immunsystems, auch ohne spezielles Resilienztraining, gut aufgestellt zu sein, um mit diesen Widrigkeiten des Lebens umzugehen. Genauso wie wir schon mit einem sehr leistungsfähigen körperlichen Immunsystem auf die Welt kommen, haben wir auch schon eine gute Resilienz. Diese wird dann im Idealfall durch unsere Umwelt noch weiter verbessert. Dies geschieht zum Beispiel dadurch, dass Eltern selbst eine optimistische Grundhaltung vorleben, in Stresssituationen selbst ruhig bleiben oder Kinder ihre Probleme auch mal selbst lösen lassen. Geschieht dies alles, und noch ein paar Sachen mehr, entwickeln sich die Kinder auch zu resilienten Erwachsenen.
Wie erkennt man resiliente Personen / Systeme?
Man erkennt ein resilientes System daran wie gut es in der Lage ist mit Störungen umzugehen. Ist ein in « normalen Zeiten » erfolgreich funktionierendes System nach einer Störung in der Lage in die ursprüngliche erfolgreiche Verfassung zurück zu kehren. Ja, vielleicht sogar noch erfolgreicher zu sein, weil es die Krise als Chance genutzt hat, wie man im Volksmund sagt. Diese Sichtweise kann man auf Menschen, Unternehmen, Gesellschaften wahrscheinlich die ganze Welt ausweiten. Das heißt übrigens nicht, dass ich alles aus eigener Kraft schaffen muss. Resilient zu sein heißt auch, sich im richtigen Moment Unterstützung zu suchen. Manche grundsätzlich sehr resiliente Menschen scheitern trotzdem, weil es ihnen schwer fällt, Hilfe anzunehmen.
Was sind die wichtigsten Tipps zur Stärkung der Resilienz, insbesondere im Zusammenhang mit der heutigen Situation? Können Sie für jeden Tipp einige Beispiele nennen, wie man sie umsetzen kann?
Es gibt so viele hilfreiche Tipps, das man ein ganzes Buch darüber schreiben könnten (Was ich ja auch gemacht habe… *lacht*). Lassen Sie mich daher nur eine ganz entscheidende herauspicken. Die wahrscheinlich wichtigste Strategie von allen ist die, auf das zu fokussieren, mich mit dem zu beschäftigen, was ich beeinflussen kann. Das kann mit der Krise zusammenhängen, wenn ich zum Beispiel den Sicherheitsabstand zu Menschen wahre, einen Mundschutz trage oder Bedürftigen helfe, kann aber auch ganz unabhängig davon sein. Auch im Home Office meinen beruflichen Verpflichtungen nachzugehen, den Rasen zu mähen, den Keller auszumisten, Sport zu machen und vieles, vieles mehr sind Dinge, die ich beeinflussen kann. Mache ich das, erlebe ich mich als selbstwirksam. So nennen wir Psychologen das. Tue ich das nicht und beschäftige ich mich stattdessen nur mit dem was mich besorgt, indem ich beispielsweise permanent Nachrichten schaue, begebe ich mich in eine Opferrolle. Und das deshalb, weil ich mich mental fast nur mit Dingen beschäftige, die ich gar nicht beeinflussen kann. Was kann ich schon an den Todeszahlen in den USA ändern? Kann ich etwa die Entwicklung eines Impfstoffes beschleunigen? Das raubt auf Dauer jedem Menschen seine Energie. Mandela hat im Gefängnis seinen kleinen Gemüsegarten gepflegt, sich um seine Mitgefangenen gekümmert, weiter studiert, politische Schriften verfasst, versucht die Gefängniswärter von seinen Ideen zu überzeugen und hat sich so seine Selbstwirksamkeitsüberzeugung bewahrt. Er hätte aber auch Jahre damit verbringen können, sich über das Unrecht, das ihm zweifelsohne widerfahren ist, zu grämen. Daran wäre er aber dann zweifelsohne auch zugrunde gegangen.
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