Experteninterview

Dr. Leonhard spricht die Herausforderungen in der Bildung an.

Herausforderungen in der Bildung

Wir haben mit Professor Dr. Ing. Dieter Leonhard, Präsident der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar) gesprochen, um mehr über den Stand der Bildung in Deutschland und den Status quo im Saarland zu erfahren.

Professor Dr. Ing. Dieter Leonhard ist Präsident der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken (htw saar).

Herr Präsident Leonhard, in Deutschland und Europa wird der Klimawandel als Herausforderung Nummer eins gesehen. Da die junge Generation besonders von den Auswirkungen betroffen sein wird, fordert sie die Politik zum Handeln auf. Schlägt sich das auch bei den Bewerberzahlen und dem Studieninteresse an der htw nieder?

Ja und nein. Ja, weil wir viele Studentinnen und Studenten in unseren naturwissenschaftlichen, technischen, ingenieurwissenschaftlichen und mathematischen Studiengängen (MINT) haben, die sich sehr für Lösungen und Ideen zum Klimaschutz engagieren. Aber insgesamt erleben wir aktuell einen Rückgang der Bewerberzahlen. In den klassischen Technikstudiengängen haben wir in den letzten drei Jahren 30 Prozent weniger, in der Elektrotechnik 25 Prozent und selbst bei Fächern zu erneuerbaren Energien haben wir weniger Bewerber.

Bedeutet das, dass diese Generation mehr redet als handelt?

Für Generationenschelte sehe ich keinen Anlass. Die jungen Leute treffen sehr oft sehr rationale Entscheidungen. Und die Zahlen sind nicht eindeutig. Im IT-Bereich sind die Bewerberzahlen sehr solide, bei Bauingenieuren haben wir einen sehr starken Zulauf und auch Technikdisziplinen im Gesundheitsbereich erleben bundesweit Wachstum.

Handelt es sich dann eher um eine Verschiebung der Interessen bei den Bewerbern oder um einen allgemeinen Rückgang der Hochschul-Aspiranten?

Es ist sicherlich beides. Schwankungen bei Bewerberzahlen hatten wir auch in der Vergangenheit. Das ist normal, kann aber auch sehr schnell gefährlich werden. Das haben wir Ende der 90er Jahre erlebt. Damals gab es fatale Einbrüche bei den Bewerberzahlen im Maschinenbau, in der Elektrotechnik oder im Bauingenieurwesen, auch nachdem die Industrie großflächige Ankündigungen zum Personalabbau von Ingenieuren gemacht hatte. Das ist derzeit nicht das Problem, aber es können schnell zyklische Schwankungen ausgelöst werden, wenn die Unternehmen bei ihrer Personal- und Ressourcenplanung nicht auf Nachhaltigkeit achten. Deshalb betone ich gegenüber unseren Partnern in der Industrie auch immer, wie wichtig es ist, langfristig zu denken und verantwortungsbewusst zu handeln, wenn es um ihre Ausbildungsprogramme geht.

Was wir als Hochschule machen, wird nur dann erfolgreich sein, wenn auch unsere Gesellschaft insgesamt wieder mehr Mut fasst, wieder mehr Lust auf Technologie hat.

Professor Dr. Ing. Dieter Leonhard
Präsident der htw saar

Der aktuelle Trend Ihrer Bewerberzahlen wirkt beunruhigend. Wie können Sie sicherzustellen, dass für die Wirtschaft im Saarland genügend Fachkräfte bereitstehen, wenn der „Pool“ potentieller Bewerber immer kleiner wird?

Für uns an der Hochschule haben wir viele notwendige Gegenmaßnahmen schon auf den Weg gebracht. Es geht um „Mehr Internationalisierung“, „Mehr Frauen in MINT“ und „Mehr duale Studien“. Und das ist nicht nur einfach ein Paket an Maßnahmen organisatorischer Natur. Das ist eine Transformation der htw saar, wie wir sie in 50 Jahren nicht erlebt haben.

Kann die htw saar diese Herausforderung ganz alleine meistern?

Bestimmt nicht. Denn gesellschaftliche Trends spielen hier eine enorm große Rolle. Was auch immer wir als Hochschule machen, wird nur dann erfolgreich sein, wenn auch unsere Gesellschaft insgesamt wieder mehr Mut fasst, wieder mehr Lust auf Technologie hat. Fortschritt der Menschheit ist immer das Ergebnis neuer Erkenntnisse, neuer Techniken und innovativer Lösungen. Darüber reden wir in Deutschland viel zu wenig. Und wir sind auch nicht ehrlich zu uns: Eine Wirtschaft ohne Rohstoffe und eine immer stärker wissensgetriebene Gesellschaft kann doch Zukunft nur mit technologiegetriebener Innovation gestalten.

Das klingt nach einem Appell an die Politik.

Das ist ein Appell an uns alle, dringend zu handeln. Das gesellschaftliche Klima ist ein wichtiger Treiber für die Zukunftsentscheidungen junger Leute. Wir sollten den Mut finden, viel mehr produktiven Spieltrieb in unserer Gesellschaft zu fördern. Wir sollten dazu anstiften, für Probleme und Herausforderungen technische Lösungen zu finden. Da sehe ich sehr viel Potenzial für Deutschland und für jeden einzelnen. Ich sage voraus: Wer heute ein Elektrotechnik-Studium absolviert, der braucht sich nach menschlichem Ermessen für den Rest des Lebens keine Sorgen mehr machen um Beruf und Einkommen.

Fortschritt der Menschheit ist immer das Ergebnis neuer Erkenntnisse, neuer Techniken und innovativer Lösungen.

Professor Dr. Ing. Dieter Leonhard
Präsident der htw saar

Sprechen wir darüber, was die htw saar macht und beginnen mit der Internationalisierung. Was streben Sie hier an?

Wir haben mit unserer geografischen Lage, unserer Struktur und mit 16 Prozent Studierenden aus dem Ausland schon heute eine klare internationale Ausrichtung. Das ist eine starke Basis, die wir deutlich ausbauen wollen.

Insbesondere das deutsch-französische Hochschulinstitut mit zwölf Studiengängen gemeinsam mit der Université Lorraine und die weltweiten Partnerschaften mit Hochschulen in Fernost, Mexiko, Indien und anderen Standorten zeichnen Sie ja heute schon aus. Sie sind auch die deutsche Hochschule, in der am meisten binationale französischsprachige Programme unterrichtet werden.

Ja, aber da geht noch mehr. Bisher haben wir z.B. bei internationalen englischsprachigen Programmen stark auf Masterstudierende gezielt. Jetzt wollen wir auch Studienanfänger für ein Bachelor-Studium gewinnen, die noch kein Deutsch können. Unsere Idee ist, ein Curriculum zu schaffen, bei dem ein Einstieg ins Studium auf Englisch absolviert werden kann, man aber bis zum Ende der Ausbildung auch so viel Deutsch lernt, dass man danach auch in einem rein deutschen Umfeld arbeiten kann. Die Anwerbung von englischsprachigen Personen allein wird aber auch nicht reichen, um unsere Plätze mit guten Studierenden zu füllen. Wir haben deshalb ein „Fit for Study“ Programm erarbeitet, mit dem wir Bewerberinnen und Bewerber aus dem Ausland auf das Studium vorbereiten können und sie offiziell für die htw saar zulassen können. Wir erarbeiten außerdem gerade zusammen mit Unternehmen eine umfassende Frankophonie-Strategie, weil es interessante Kandidaten nicht nur in Frankreich, sondern in vielen französischsprachigen Ländern gibt.

Sollte eine solche Internationalisierungsstrategie nicht auch von der Politik unterstützt werden?

Deutschland ist das in der Welt viertbeliebteste Ziel internationaler Studenten. Das ist schon mal eine gute Basis. Aber in der Tat, hier sind Politik und Gesellschaft gefordert. Sind wir schon bereit für die Offenheit, die eine solche Strategie erfordert? Sind wir ein Willkommensland für ausländische Studierende? Sind wir bekannt für Freundlichkeit und Hilfe?

Deutschland ist vielleicht eher für rigorose Anforderungen, Bürokratie und oft protektionistische Regulierung bekannt …

Und im Alltag erleben wir alle dafür immer wieder Beispiele. Zuletzt hatten wir riesige Probleme, Arbeitsgenehmigungen für hier aufgenommene Hochschullehrer aus der Ukraine zu bekommen. Unsere Vorschriften sind für die Praxis nicht flexibel genug.

University of Applied Sciences in Saarbrücken

„Internationaler werden“ hatten Sie als eine von drei Baustellen genannt. Wie sieht es mit „Mehr Frauen“ aus?

Wir haben in Deutschland immer noch eine viel zu geschlechterspezifische Studienwahl. Die Zahlen sind im Vergleich zu vor 20 Jahren sicher schon deutlich besser geworden. Aber wir können uns nicht mit 20 Prozent Frauenanteil in MINT-Fächern zufriedengeben, wenn andere Länder wie Spanien oder Frankreich, oder Länder in Skandinavien oder Osteuropa es auf 30 oder gar 40 Prozent bringen.

Was schlagen Sie vor?

Ich habe auch kein Allheilmittel. Aber ich meine, wir müssten technische Studiengänge vom Geruch „Löten, Schrauben, Schweißen“ befreien. Wir müssen die Gründe für die Auseinandersetzung mit Technologie in den Mittelpunkt stellen. „Smart Building“ klingt nicht nur besser, es verspricht auch viel mehr als „technische Gebäudeausstattung“. Wenn wir internationale Studiengänge fördern, bekommen wir damit auch automatisch einen höheren Frauenanteil. Und auch bei dualen Studiengängen ist die Zahl der Bewerberinnen immer höher.

Müssen wir uns in Deutschland nicht auch noch stärker fragen, wann und wo wir die jungen Frauen verlieren?

Als Vater von drei Töchtern sage ich ganz klar: Ja. Wir verlieren die jungen Frauen in der Schule. Da werden sie zu Mathe, Physik, Chemie und Technik nicht ermuntert, sondern von diesen Fächern abgeschreckt. Wie wir da eine Trendumkehr erreichen, weiß ich aber auch nicht.

Warum glauben Sie, dass der Ausbau der dualen Studiengänge helfen wird, den Fachkräftemangel zu bekämpfen?

Wir sehen ein starkes Interesse an dualen Studiengängen. Eingebettet zu sein in ein Arbeitsumfeld ist für Studierende besonders attraktiv, die wohnortnah in eine Ausbildung gehen wollen und bietet den Rückhalt eines Arbeitsplatzes. Hier ist auch eine besondere Chance für den sozialen Aufstieg. Die Herausforderung in diesem Bereich ist aber das Engagement der Unternehmen. Denn es verlangt nicht nur Mitwirken und Einflussnehmen, sondern auch finanzielles Engagement. Die allermeisten Arbeitgeber machen mit den dualen Studiengängen sehr gute Erfahrungen.

Die allermeisten Arbeitgeber machen mit den dualen Studiengängen sehr gute Erfahrungen.

Professor Dr. Ing. Dieter Leonhard
Präsident der htw saar

Sind diese drei Maßnahmen denn ausreichend, um dem Fachkräftemangel in der Region vorzubeugen?

Leider nicht. Ich sehe das Saarland am Beginn einer gewaltigen Transformation. Die Ausgangslage ist nicht einfach, weil wir in unserer Region die bundesweit niedrigste Investitionsquote von Unternehmen in Forschung und Entwicklung haben. Aber immerhin gelingt es uns als Hochschule, zweimal so viel Drittmittel wie im Bundesdurchschnitt einzuwerben. Die Transformation können wir mit jungen Leuten allein aber nicht schultern.

Meinen Sie damit, dass sich die Hochschule auch in der Weiterbildung engagieren sollte?

Richtig. Heute wird immer klarer, dass das, was wir mit 20 gelernt haben, einfach nicht ausreicht für ein Berufsleben, das bis ins Alter von 60 Jahren und mehr gehen soll. Allein der technologische Fortschritt und jetzt die Trends hin zu Digitalisierung und Elektrifizierung verändern unser Arbeitsleben und die Anforderungen fundamental. Deshalb wird Weiterbildung immer wichtiger werden für jeden von uns. Auch hier haben wir inzwischen viele attraktive berufsbegleitende Studienangebote, die wir ausbauen wollen.

Glauben Sie, dass Unternehmen und Politiker den Ernst der Lage wirklich erkennen?

Ich fürchte nein, aber der sich abzeichnende Fachkräftemangel wird den Denkprozess jetzt beschleunigen. Wir haben so viel Potenzial, wir müssen es nur richtig nutzen.

Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Präsident Leonhard.

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